Trockener Mund — Pathophysiologie der Speichelsekretion
Die Speichelproduktion wird primär über das autonome Nervensystem reguliert. Der parasympathische Anteil (über die Nn. glossopharyngeus und facialis) stimuliert die seröse Sekretion der großen Speicheldrüsen, insbesondere der Glandula parotis und submandibularis. Der sympathische Einfluss hingegen hemmt tendenziell die Volumenproduktion und verändert die Zusammensetzung des Speichels in Richtung einer viskösen, proteinreicheren Sekretion.
Zahlreiche exogene und endogene Faktoren können dieses fein austarierte System stören. Dazu zählen:
Medikamente: Besonders Anticholinergika, Antidepressiva (v. a. trizyklische), Antihypertensiva und Antihistaminika
Systemische Erkrankungen: z. B. Sjögren-Syndrom, Diabetes mellitus, Morbus Parkinson
Hormonelle Dysregulationen: z. B. Schilddrüsenfunktionsstörungen, Menopause
Psychischer Stress: Aktivierung der HPA-Achse mit konsekutiver Kortisolausschüttung
Psychogene Einflüsse auf die Speichelsekretion
Die Interaktion zwischen psychischer Verfassung und Speichelfluss ist gut dokumentiert. Bereits klassische stressphysiologische Studien zeigen, dass akute psychische Belastung zu einer signifikanten Reduktion der Speichelmenge führt und so ein trockener Mund entsteht. Die Aktivierung des sympatho-adrenalen Systems hemmt nicht nur die Speichelsekretion, sondern verändert auch die Zusammensetzung des Speichels (pH-Wert, Immunglobuline, Lysozymaktivität).
Darüber hinaus zeigen funktionelle Bildgebungsstudien, dass emotionale Reize kortikale und subkortikale Regionen aktivieren, die direkt mit dem Hirnstammnetzwerk der Speichelkontrolle verknüpft sind. Besonders bei Patient:innen mit somatoformen Störungen, Angststörungen oder Depressionen findet sich häufig eine Hypervigilanz gegenüber körperlichen Symptomen, die mit einer verstärkten Wahrnehmung oraler Beschwerden wie Trockenheit, Brennen oder Schleimhautspannung einhergeht.
Insgesamt ist davon auszugehen, dass psychische Dysregulationen sowohl peripher (über vegetative Steuerung) als auch zentralnervös (über sensorische Verarbeitung) zur Xerostomie beitragen können.
Konsequenzen der Xerostomie auf psychischer und somatischer Ebene
Ein chronisch trockener Mund hat weitreichende Auswirkungen:
Beeinträchtigung der oralen Funktionen: Kau‑, Schluck- und Sprachstörungen
Mundgesundheit: Erhöhte Kariesinzidenz, Gingivitis, Halitosis, Candida-Besiedelung
Ernährung: Vermeidung bestimmter Nahrungsmittel, Mangelernährung bei älteren Patient:innen
Sozialpsychologische Effekte: Rückzug, Scham, sozialer Stress
Darüber hinaus kann ein trockener Mund selbst zu einer chronischen Belastung mit psychischem Krankheitswert werden. Viele Patient:innen entwickeln Ängste vor malignen Erkrankungen, fühlen sich medizinisch nicht ernst genommen oder erleben eine zunehmende Einschränkung der Lebensqualität.
In der S3-Leitlinie „Nichtorganische Schlafstörungen“ wird Xerostomie (trockener Mund) bereits als Begleitsymptom von psychischen Störungen erwähnt – ein Hinweis auf die Notwendigkeit interdisziplinärer Diagnostik und Behandlung.
Die orale Mikrobiota als systemischer Regulator
Die orale Mikrobiota spielt eine Schlüsselrolle im Immunsystem der Mundhöhle. Mehr als 700 Bakterienarten sind bekannt, die in einem komplexen Zusammenspiel die Schleimhautbarriere stabilisieren, pathogene Keime in Schach halten und an der lokalen Immunantwort beteiligt sind. Der Speichel dient dabei als Transportmedium, Puffer und Antimikrobiell-aktive Substanz.
Ein trockener Mund dieses mikrobiologische Gleichgewicht zugunsten opportunistischer und inflammatorischer Erreger verändern. Dies kann zu einer dysbiotischen Mundflora mit erhöhter Infektanfälligkeit, Entzündungsneigung und Schleimhautläsionen führen – Faktoren, die wiederum die Wahrnehmung der Xerostomie (trockener Mund) verstärken.
Streptococcus salivarius M18 – ein mikrobieller Therapieansatz
Streptococcus salivarius M18 ist ein natürlicher Bewohner des oralen Pharynxraumes, der in den letzten Jahren als oral-probiotischer Kandidat systematisch untersucht wurde. Der Stamm M18 zeichnet sich durch eine Reihe gesundheitsförderlicher Eigenschaften aus:
Produktion von Bakteriozinen (Salivaricine A und B), die pathogene Streptokokken und andere schädliche Keime hemmen
Reduktion von Gingivitis-assoziierten Markern und Verbesserung der Zahnfleischgesundheit
Hemmung von Biofilmbildung durch Streptococcus mutans (Kariesprophylaxe)
Positive Beeinflussung der Speichelkomposition – möglicherweise durch Reduktion inflammatorischer Stimuli und Förderung der mukosalen Homöostase
In Pilotstudien konnte gezeigt werden, dass die Gabe von S. salivarius M18 in Form von Lutschtabletten zu einer signifikanten Verbesserung subjektiver Xerostomiebeschwerden führen kann – insbesondere bei Personen mit stressassoziierter Mundtrockenheit oder nach medikamentöser Beeinflussung der Speichelproduktion.
Ein möglicher zusätzlicher Wirkmechanismus liegt in der neuroimmunologischen Modulation, d. h. der Interaktion des Mikrobioms mit dem enterischen und zentralen Nervensystem. Es wird vermutet, dass bestimmte probiotische Stämme über Zytokinmodulation, Neurotransmitterproduktion (z. B. GABA) oder Vagusnerv-Aktivierung Einfluss auf emotionale Zustände nehmen können – ein Konzept, das unter dem Begriff „psychobiotics“ derzeit intensiv erforscht wird.
Therapeutische Konsequenzen und Empfehlungen
Ein umfassender Behandlungsansatz bei Xerostomie (trockener Mund) mit psychischer Komponente sollte multimodal ausgerichtet sein:
Medikamentöse Überprüfung: Reduktion oder Umstellung xerogener Medikamente
Psychotherapeutische Intervention: z. B. kognitive Verhaltenstherapie bei Angststörungen, Entspannungstechniken
Mundhygiene und lokale Maßnahmen: Speichelersatzpräparate, hydrophile Mundspülungen, Zungenpflege
Probiotische Supplementierung: Einsatz von S. salivarius M18 zur Stabilisierung der oralen Mikrobiota
Ernährungsmedizinische Beratung: ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Vermeidung reizender Substanzen
Psychoedukation: Aufklärung über den Zusammenhang zwischen Psyche und Speichelfluss zur Reduktion krankheitsbezogener Ängste
Fazit
Trockener Mund bzw. Xerostomie ist ein vielschichtiges Beschwerdebild, das als Schnittstelle zwischen neurologischer, immunologischer und psychischer Regulation verstanden werden muss. Die enge Verbindung zwischen Psyche und Speichelproduktion erfordert eine differenzierte, biopsychosoziale Diagnostik sowie individualisierte Behandlungsstrategien.
Die probiotische Intervention mit Streptococcus salivarius M18 stellt einen vielversprechenden, nebenwirkungsarmen Ansatz dar, der nicht nur lokal im Mundraum, sondern potenziell auch systemisch über die Mikrobiota-Neurokommunikation wirken kann.
Zukünftige Studien sind notwendig, um die genauen neurophysiologischen Mechanismen zu klären und die Evidenzbasis für diese Form der Mikrobiomtherapie zu erweitern. Schon heute jedoch bietet der gezielte Einsatz oraler Probiotika eine interessante Ergänzung zu etablierten therapeutischen Verfahren – an der Schnittstelle zwischen Zahnmedizin, Psychosomatik und Mikrobiomforschung.
